Dr. Theodor Rathgeber ist freiberuflich als wissenschaftlicher Autor und entwicklungs-politischer Gutachter für Menschenrechte, Minderheiten und indigene Völker tätig. Er ist seit 1987 Lehrbeauftragter an der Universität Kassel und beobachtet für das Forum Menschenrechte die UN-Menschenrechtskommission und den UN-Menschenrechtsrat. PPJ hat mit Theodor Rathgeber über die Menschenrechtslage im internationalen Kontext und über Wirkungsmechanismen in Institutionen, die dazu arbeiten, diskutiert….

About The Author

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Hilal Akdeniz is a junior researcher at the Institute of Sociology of the Goethe University Frankfurt. Her main topics are gender, flight and migration. She is currently researching biographical narratives of refugees on identity and affiliation. She works as a freelance journalist and a speaker at the intercultural council in Darmstadt.

 

In jüngster Zeit bauen immer mehr populistische Regierungschefs Druck auf die Gerichte aus. Nach Polen, Ungarn und der Türkei haben nun die USA die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs bedroht und deren freie und unabhängige Haltung gefährdet. Wie bewerten Sie derartige globalen Angriffe und Druckmechanismen aus dem Aspekt der Menschenrechte und die Auswirkungen auf die Akteure, die in diesem Bereich tätig sind?

Naja, die kurze Antwort hierzu ist: das ist natürlich schändlich diesen Druck auszuüben!

Aber zum anderen zeigt es natürlich auch, dass der internationale Strafgerichtshof, obwohl er von den meisten Menschen sehr weit entfernt ist, anscheinend Resultate hervorbringt, die bestimmten Leuten gefährlich scheinen.

Nicht dass sie jetzt direkt auf die Anklagebank kommen, aber solche Strafgerichtshöfe, gerade wenn sie internationaler Art sind, haben große Archive.

Unter anderen Umständen mag dann der eine oder die andere dann mal wieder vor diesem Gericht landen.

Das ist auch meine Erfahrung im Bereich mit Menschenrechten, dass ich allen immer empfehle, von den vielen Verletzungen und Verbrechen, die sie erfahren, Akten anzulegen, und die ganzen Fälle möglichst authentisch aufzuzeichnen, in schriftlicher Form oder in welcher Form auch immer, um sie dann später solchen Gerichten zur Verfügung stellen zu können.

Ich selber habe viel Erfahrung sammeln können in Latein-Amerika, nicht persönlich aber in der politischen Arbeit, mit den Diktaturen in Chile und Argentinien, wo es nach 15 Jahren sehr wichtig war, dass es diese Dokumente gegeben hat, auf deren Grundlage selbst in den Ländern Entscheidungen gefällt werden konnten. Also insofern, diese Bedrohung und Drohung durch die Staatspräsidenten und politischen Führer trifft den Punkt, dass sie sich in Gefahr sehen, aus guten Gründen.

Nichtsdestotrotz ist es aus dem diplomatischen Gesichtspunkt her unverschämt und dreist so ein Gericht auf diese Art unter Druck setzen zu wollen.

Also es ist ein Stück weit Hybris, was da zum Ausdruck kommt, als ob alle Welt darauf gewartet hätte, dass die sich zu dem Gerichtshof jetzt äußern. Aber das ist wohl in der Person dieser Leute begründet.

 

Die türkische Regierung macht immer wieder Aussagen, dass mittels seines Geheimdienstes im vergangenen Jahr über 100 Oppositionelle aus 20 unterschiedlichen Ländern auf illegalem Weg in die Türkei deportiert wurden. Viele dieser Personen standen unter dem Schutz der UN. Wieder bestand Erdogan bei seinem letzten Besuch in Deutschland auf die Auslieferung mancher Geflüchteter. Wie bewerten Sie diesen Machtmissbrauch der Türkei?

Die Antwort ist ja im Grunde genommen schon in der Frage gegeben: wenn Sie von Machtmissbrauch sprechen, dann ist das natürlich der Gegenstand über den zu sprechen ist in diesem Zusammenhang.

Ich stelle, da ich das etwas verfolgt habe, schon fest, dass einige Geheimdienste, auch einige Bereiche der Justiz, sich zum Instrument von Erdogan haben machen lassen.

Gerade diese rote Liste von Interpol wird häufig benutzt um Leute, die dann in den Ländern sind schlicht festnehmen zu lassen und so erstmal Angst und Terror verbreiten unter allen, die aus der Türkei flüchten konnten und sich dann nicht mehr trauen irgendwo anders hinzufahren. Also da gibt es auch für mich eine erschreckende Gefügigkeit westlicher Regierungen und Einrichtungen, formal bestimmten Verfahren zu folgen, die sie aber so strikt nicht verfolgen müssten.

Das ist das eine. Das andere, da kommen wir auf ein ziemlich großes Feld, wenn Geheimdienste zusammenarbeiten. Es wird nicht allein der türkische Geheimdienst gewesen sein, der auf die Spur dieser Leute gekommen ist.

Sie werden da, denke ich auch Unterstützung erfahren haben, im Austausch bei dem dann der türkische Geheimdienst Informationen anbieten konnte.

Es gibt also schon eine sehr ungute Kooperation gerade im Bereich des sogenannten Anti-Terrorismus-Kampfes, wo viel an normalem, sozialem, zivilgesellschaftlichen Protest unter Terrorismus Verdacht steht und wo die Geheimdienste in ganz unguter weise austauschen und zusammenarbeiten, und wobei unsere Regierungen nicht oder viel zu wenig fragen, was das eigentlich bedeutet im politischen Sinn für eine Demokratie.

Um hier am konkreten Beispiel nochmal von der Türkei zu bleiben, was bedeutet das für eine Institution wie dem Europa-Rat?

Wenn man auf dieser Ebene mehr Zusammenarbeit als Kritik hört gegenüber der Türkei und wenn man immer wieder versucht die Türkei immer wieder konstruktiv einzubinden in europäische Politik oder sie zu sehr in Ruhe lässt, das finde ich persönlich mit am beunruhigendsten, gerade von einem Land wie Deutschland aus gesehen, dass trotz aller Rhetorik, trotz aller Versprechen dann unter der Hand Business as usual betrieben wird.

 

Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über die Klagen der türkischen Inhaftierten hat vielmehr die türkische Regierung zufrieden gestellt als die Klagenden was zu Kritik auf Seiten türkischer und internationaler Juristen führte. Wie muss man diese Haltung des Gerichtshofs verstehen?

Das ist vom Ergebnis her beschämend, wie ich bereits erwähnte. Beim europäischen Gerichtshof kommt eben hinzu- es gibt bestimmte Prozessrichtlinien, bestimmte Regularien, denen auch so ein Gerichtshof folgen muss.

Wenn dann via Europa-Rat semi-staatliche Strukturen eingezogen werden, dann muss so ein Gerichtshof das erstmal zur Kenntnis nehmen. Also ein Gerichtshof hat nicht die Möglichkeiten wie das Bundesverfassungsgericht in Deutschland, dass sie jetzt was sagen können.

Das ist verfahrensrechtlich nicht möglich. In diesem internationalen Zusammenhang ist das offensichtlich anders.

Wobei ich, gebe ich gleich gerne zu, nicht der große Experte in diesem Verfahrensrecht bin, vielleicht hätte es auch anders ausgehen können. Das war aber für mich der erste Eindruck als ich von diesem Urteil las und dass man jetzt zunächst auf die Kommission in der Türkei verweist.

Da ist meiner Ansicht nach das letzte Wort hoffentlich nicht gesprochen. Das müsste geändert werden. Gerade wenn man sagt, dass inzwischen genügend Evidenz und Beweise vorliegen, dass diese Kommission sehr einseitig wirkt und tätig wird.

Hier kann man quasi von einer juristisch neutralen Abwägung nicht sprechen und das müsste eigentlich auch zu dem Gerichtshof für Menschenrechte durchdringen.

 

Wie kann man die Machtlosigkeit der Organisationen wie UN und CoE gegenüber des Haftentscheids für zwei Reuters-Journalisten in Myanmar, hohem Druck gegenüber Journalisten in Russland, Ägypten und dem Iran und den immer noch ohne jeglichen Prozess oder willkürlich inhaftierten 180 Journalisten in der Türkei erklären? Was sind die Ursachen?

Eine Ursache ist zum Beispiel, dass die Vereinten Nationen keine Erzwingungsorgane hat. Die können Resolutionen und Fallurteile fällen soviel sie wollen.

Sie können keine Gerichtsvollzieher schicken, können keine Polizei irgendwohin schicken.

Es fehlt das Instrument um etwas durchzuführen den Vereinten Nationen, wenn man jetzt von der militärischen Intervention über den Sicherheitsrat absieht- aber das kommt unter normalen Umständen bei Menschenrechtsverletzungen nicht zum Einsatz. Also die Vereinten Nationen sind von Anfang an darauf angewiesen, über Veröffentlichung von solchen Fällen und Situationen in anderen Ländern Leute genügend empören, die dann über politische Mittel dann versuchen die Situation zu ändern.

Oder dass sie Gerichte beliefern mit entsprechenden Untersuchungen, die für Entscheidungen entscheidend sein können.

Wir hatten schon gesprochen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der für die Türkei einschlägig ist, in anderen Teilen der Welt ist es der afrikanische und  der Interamerikanische Gerichtshof. Und da gibt es durchaus auch Urteile.

Es ist jetzt also nicht so, dass alles Rhetorik und Anspruch von Ethik und Moral ist.

Es gibt schon handfestere Dinge, die dann auch durchgesetzt werden, aber nicht direkt durch die Vereinten Nationen, sondern eben durch andere Organe.

Das dritte große Feld, was aber nicht im Licht der Öffentlichkeit steht aus guten Gründen, dass Sanktionsregime damit beliefert werden mit diesen Informationen.

Es gibt in den USA und in der EU informelle Sanktionsregime, die dann Informationen erhalten, zum Beispiel über Personen, die Menschenrechte in schwerwiegendem Maße verletzt haben, die kann man auf so eine Liste setzen- die dürfen dann nirgendwo mehr hin. Manchmal nützt das was. Oder in den USA geht man teilweise drastischer vor, in dem man Bankkonten sperrt.

Hat von der Art und Weise der Vorgehensweise etwas von Willkür, wie das funktioniert aber dennoch ist es teilweise wirksamer als gute Statements abzugeben oder mit den Ergebnissen Presse zu beliefern. Aber den Opfern selbst nützt das natürlich nicht direkt!

 

Wie muss man die autarke Haltung der Bundesregierung und der EU zur Türkei verstehen? Im Fall Deniz Yücel wird von einem Deal ausgegangen. Sind derartige autarke Verhandlungen nicht verleitend und motivierend für populistische Politiker ähnlich zu agieren?

Das mit der EU und Deutschland ist insgesamt eine zwiespältige Sache. Erdogan war bis 2004 einer der beliebtesten Politiker, auch in Deutschland, weil er demokratische Reformen in der Türkei durchgeführt hat- mit der Perspektive, dass die Türkei Mitglied werden kann in der EU.

Dann gab es eine politische Führerin namens Merkel; als sie an die Macht kam sagte sie „Nein! Es gibt höchstens besondere Beziehungen mit der Türkei“. Ab dem Moment war der demokratische Prozesse zu Ende.

Die Länder in der EU, die sich dieser Linie angeschlossen haben, und auch die EU selber, haben, große Verantwortung für die Lage, die jetzt in der Türkei besteht.

Dementsprechend wankelmütig und zwiespältig verhalten sie sich. Dann kommt eben noch das Tagesgeschäft dazu. Deutschland hat den Kontrakt mit der Türkei geschlossen über die Flüchtlinge, die sie da im Land halten und kriegen Geld dafür. Aber für Deutschland war wichtig, dass niemand mehr hierher kommt. Das ist eigentlich eine völkerrechtswidrige Politik. Aus diesem Zusammenhang heraus muss man vielmehr über Deutschland und die EU als über die Türkei sprechen. So viel Scheinheiligkeit ist eigentlich unglaublich!

 

Möchten Sie dem bereits gesagten noch etwas hinzufügen?  

Ja, weil das vielleicht immer zu kurz kommt.

Gerade was das  Thema Türkei und Dissidenten aus der Türkei in Deutschland angeht- es gibt ein bevorzugtes Segment von Dissidenten aus der Türkei, die dann hier auch gerne in der Öffentlichkeit rumgereicht werden. Und es gibt quasi die nicht-bevorzugten Teile, die unter anderem mit der Gülen-Bewegung zu tun haben, wo es offensichtlich bis zu Menschenrechtsorganisationen Berührungsängste gibt.

Man kann das ein Stück weit aus der Geschichte nachvollziehen aber ich finde es dringend, dass auch dann eben Frauenorganisationen, Menschenrechtsorganisationen andere Organisationen im zivilgesellschaftlichen Bereich in Deutschland, da die Scheuklappen ablegen.

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